Für uns gestorben

Eine Predigt am Karfreitag von dem evangelischen Pfarrer Karl Mehl.

 

30. Januar im Jahr 1948

In Indien stirbt Mahatma Gandhi, ermordet von einem nationalistischen Hindu.

 

Für uns gestorben.

 

Oder genauer: Für die Menschen, die durch die britische Kolonialherrschaft unterdrückt, beherrscht, ihres Selbstbestimmungsrechts beraubt wurden. Für die Menschen, die Religion als Legitimation betrachten für Gewalt, Vertreibung, Mord.
Für sie gestorben – und damit auch für uns, die wir dies als Herzensanliegen leben wollen.
Durch ihn und seine Weggenossen konnte das Joch der britischen Herrschaft abgeschüttelt werden. Die Spaltung zwischen Hindus und Muslimen zu überwinden gelang ihm nicht.
Und in all dem geleitet vom Gedanken der Satygraha, „Kraft des Guten“, friedlich und gewaltlos und doch kraftvoll. Der Salzmarsch, Hungerstreik, ziviler Widerstand.


Für uns gestorben.

4. April im Jahr 1968


In Memphis/Tenessee in den USA wird Martin Luther King auf dem Balkon eines Motels von einem Rassisten erschossen, vermutlich mit einer Vorahnung, dass ein Attentat auf ihn bevorsteht.


Für uns gestorben.


Oder genauer: Für die Menschen, die damals wie heute wegen ihrer Hautfarbe, ihres Aussehens, ihrer Herkunft diskriminiert und entrechtet werden.


Der Montgomery Bus-Boykott, der March on Washington, „I have a dream“.
Vieles, was er und all die people of color erträumten und erträumen, ist in Erfüllung gegangen, vieles ist noch Wunsch-Traum.
Gestorben für seinen Einsatz gegen Diskriminierung und für Gerechtigkeit.


Für uns gestorben...

24. März im Jahr 1980


In San Salvador, in der Kapelle des Krebshospitals La Divina Providencia
zelebriert Oscar Romero die Heilige Messe. Bezahlte Killer dringen in die Kirche ein und erschießen, ermorden Oscar Romero.


Für uns gestorben...


Oder genauer: Für die Menschen, die unter Armut und Ausbeutung leiden.
So sehr empfinden vor allem arme Menschen dies genau so, dass bei seiner Beisetzung etwa eine Million Menschen kamen. Scharfschützen schießen gezielt in die Menge. 40 Menschen sterben.


In dem Bürgerkrieg der folgenden Jahre in El Salvador sterben mehr als 75.000 Menschen, in der Mehrzahl Zivilisten.

 

Romero später seliggesprochen und sogar heiliggesprochen. Am Jahrestag seines Todes Gedenkmärsche, auf denen immer wieder zu lesen ist: Romero vive.
Romero lebt. Der Kampf gegen die Armut – lebt.


Für uns gestorben...

7. Oktober im Jahr 2006


In Moskau, im Aufzug zu ihrer Wohnung wir Anna Politkowskaja durch mehrere Schüsse ermordet. Am 7. Oktober, genau am Geburtstag des russischen Präsidenten Wladimir Putin.
In den USA geboren, ukrainischer Abstammung, zumeist aber in Russland tätig. Als Journalistin eine der wenigen, die es wagten,  im grausamen Tschetschenienkrieg die Gräueltaten des russischen Militärs und der tschetschenischen Paramilitärs zu benennen, Raub, Mord, Vergewaltigung zu dokumentieren und zu publizieren. Nach Morddrohungen eine Zeitlang im Ausland, um aber bewusst wieder zurückzukehren.


Für uns gestorben...


Oder genauer: Für die Wahrheit, für die Menschen, die sich als Journalisten der Wahrheit verpflichtet wissen, und Unrecht, Grausamkeiten, Ermordungen aufzudecken und ans Licht zu bringen. Gestorben für die, die auch heute noch in den Krisengebieten der Welt ihr Leben riskieren und oft genug verlieren.


Für uns gestorben...

Im November des Jahres 2019


In Brasilien im Bundesstaat Maranhao wird Paulo Paulino Guajajara erschossen. Mitten im Regenwald auf indigenem Territorium wird er von illegalen Holzfällern in einen Hinterhalt gelockt und durch einen Kopfschuss ermordet.
Gemeinsam mit seiner Frau Sonja hat er sich viele Jahre für die Rechte indigener Völker im Amazonasgebiet eingesetzt und zugleich für den Erhalt des Regenwaldes gekämpft und gegen die großflächige illegale Abholzung, nicht nur, aber noch einmal verstärkt unter der Regierung Bolsonaros. Seine Frau Sonja führt seinen Kampf bis heute weiter.

 

Für uns gestorben...


Oder genauer: Gestorben für die indigenen Menschen im Amazonasgebiet, für den Regenwald und damit auch für uns, für den Erhalt jener „grünen Lunge“, die wir als Menschheit zu bitter nötig haben. Gegen Ausbeutung, gegen Vertreibung, gegen Mega-Projekte.


Für diese Erde und damit:
Für uns gestorben..

Donnerstag, 7. März im Jahr 2024

 

In Berlin, Wolfgang Metzeler-Kick setzt sein Leben ein:
Am 7. März beginnt er seinen Hungerstreik für Ehrlichkeit. So lange, bis der Bundeskanzler ehrlich die Klimakrise beim Namen nennt.
Seine Botschaft:

Der Fortbestand der menschlichen Zivilisation ist durch die Klimakatastrophe extrem gefährdet“, und deswegen: „Hungern, bis ihr ehrlich seid!“.

 

Und was für den Kanzler gilt, gilt für die Politik und die Gesellschaft natürlich ebenso. Dafür setzt Wolfgang Metzeler-Kick sein Leben ein. Wie einst Ghandi und viele vor ihm.
Lebensmüde ist er nicht. Im Gegenteil. Märtyrertum, Heldentum sind ihm fremd. Er nimmt jeden Tag Flüssigkeit zu sich, Saft, Vitamine. Hat in 14 Tagen 10 kg abgenommen. Und doch: Ausgang der Aktion, in jeder Hinsicht ungewiss.


Es schmerzt weiter zu denken. Auch daran, dass weitere Menschen sich anschließen und eventuell ebenfalls bereit sein werden, bis zum Äußersten zu gehen.


Für uns das eigene Leben riskieren.
Ja, in der Tat. Für uns.

 

32 n. Ch.


Um das Jahr 32 unserer Zeitrechnung, im römisch besetzten Judäa, vor den Toren der Stadt Jerusalem, vor dem Pessachfest.
Zusammen mit zwei Aufständischen wird ein gewisser Jesus von Nazareth gekreuzigt. Zuvor ein Ränkespiel der Mächtigen im Land, ein mehr als fragwürdiger Prozess, Folter, Isolation,  die Kreuzigung die qualvollste Form der Hinrichtung damals, für Schwerverbrecher und Aufständische, erniedrigend, öffentlich zur Abschreckung.

Jesus von Nazareth, später der Christus genannt, sogar „König der Juden“, als Spott, als Affront vielleicht.


Für uns gestorben...

Genauer: Gestorben zunächst für die Menschen, die mit ihm für eine Welt eintraten ohne Hass, ohne Gewalt, ohne Ausgeschlossene, ohne Feindschaft. Gekreuzigt wie Tausende andere vor und nach ihm, die die Gewaltherrschaft nicht hinzunehmen bereit waren, von Spartakus  bis Nero und weit darüber hinaus.

Gestorben durch Gewalt, durch Unrecht, ermordet durch die Sündenverflechtung dieser Welt. Ermordet und besiegt und getilgt, dieser Jesus, sein angeblich göttlicher Auftrag, seine Vision vom Reich Gottes.

 

Erledigt, wie es schien, zunächst.

Sinnlos, machtlos, belanglos, vergeblich, wie es scheint.


Sein Leben und das von Gandhi und Martin Luther King und Oscar Romero und Anna Politkowskaja und Paulo Paulino Guajajara und Wolfgang Metzeler-Kick,
bedeutungslos und erledigt wie es scheint.

Für uns gestorben.


Und doch:

Niemand hat größere Liebe als die, die ihr Leben geben für Gerechtigkeit, Frieden und für die Bewahrung der Schöpfung.

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Kommentare: 2
  • #1

    Susanne W. (Montag, 01 April 2024 19:22)

    Nicht aufgeben. Jeder kleine Beitrag zählt, jeder Mensch mit Haltung zählt.
    Und großer, großer Respekt vor denen, die mit so viel Mut und Unbeirrbarkeit Borbilder für uns sind, Leitlinien setzen.
    Die 10 Gebote, die Botschaft der o.G. - und wir würden gut ubd friedlich und resoektvoll auf dieser wunderbaren Erde miteinander und mit der Natur leben...

  • #2

    Maiken Winter (Dienstag, 02 April 2024 08:28)

    Danke! Aufgeben ist sowieso keine Option solange auch nur die geringste Wahrscheinlicheit besteht, dass wir es schaffen könnten, eine globale Katastrophe zu vermeiden.