Angeregt von der Diskussion bei unserer Mitgliederversammlung, schrieb Andreas Meissner folgenden Text. Ein herzliches Dankeschön, dass wir ihn hier veröffentlichen dürfen!
Ich fahre jährlich rund 3000 Kilometer mit dem Fahrrad. Im April, Juli und November gibt es immer was zu feiern. Der Ehrgeiz ist da, den nächsten Tausender vielleicht mal etwas früher im Jahr zu erreichen. Das Radeln und die Ziele dabei bereiten mir Freude, die Etappen sind konkret und jeweils in überschaubaren Zeiträumen zu erreichen.
Fußball spiele ich nicht. Aber ich schaue mir gerne Spiele an, und habe vor gefühlt langer Zeit den eigenen Sohn in einer Mannschaft trainiert. Hier brennen auf dem Platz elf Spieler vor Ehrgeiz, in überschaubarer Zeit, nämlich 90 Minuten, ein Ziel zu erreichen, nämlich ihren Sieg. Eine kollektive Anstrengung, ein gemeinsames Ziel. Haben nur ein oder zwei Spieler einen schlechten Tag und fabrizieren viele Fehler, werden sie sich nach einer Niederlage in der Kabine wohl einiges anhören müssen. Nur wenn alle mitziehen, kann es klappen.
Der Klimawandel ist ein globales Problem, das Kollektiv somit, das hier mitziehen müsste, ziemlich groß. Und unüberschaubar. Die Ziele dabei könnten durchaus konkret sein: der Temperaturanstieg global soll unter 1,5 oder wenigstens unter 2 Grad bleiben. Und die persönliche CO2-Bilanz könnte ganz konkret jedes Jahr um 2-3 Tonnen abgebaut werden. Das wäre doch schon mal was! In Initiativen wie der Klimawette oder diversen Klimaplänen könnte man Mitstreiter finden, um sich gegenseitig anzuspornen und gemeinsam Erreichtes zu feiern. So weit, so gut.
Warum aber klappt es mit persönlichen Bemühungen beim Klimawandel nicht so gut wie beim Radeln oder Fußballspielen? Und was folgt daraus?
Der Klimawandel ist zu abstrakt, und die ausgestoßenen CO2-Tonnen dabei sind eine kaum fassbare Größe. Da sind Fahrrad und Fußball doch wesentlich konkreter. Ich trete in die Pedale, und 22 Beine versuchen, den Ball ins gegnerische Tor zu bringen.
Die Beteiligten beim Klima sind zu viele, zu unüberschaubar, zu heterogen. Mit zehn Mitspielern sind Absprachen leicht möglich. Mit fast acht Milliarden Welt-Mitmenschen jedoch weniger. Und während die Mitspieler beim Fußball noch ein gemeinsames Interesse haben, nämlich zu gewinnen, ist das bei den globalen Mitmenschen nicht immer der Fall. Sie leben in unterschiedlichen Verhältnissen, müssen vielleicht erst noch um ihr existenzielles Überleben kämpfen und sind bisher in vielen Regionen dieser Welt noch keine solchen Klimasünder wie wir im industrialisierten Westen.
Steht doch der Klimawandel weit oben auf ihrer Prioritätenliste, etwa weil gerade ihnen große Überschwemmungen oder Dürren drohen, dann können Spielplan und Taktik trotzdem noch sehr gegensätzlich sein. Während wir im Westen vom Lebensstil her eher abspecken müssten, wollen sie in fernen Ländern vielleicht erst noch aufschließen an unseren Lebensstandard, was ihre eigene und die globale Klimabilanz dann erst mal nicht verbessern dürfte.
Und so entsteht das Gefühl, dass die Anstrengungen sehr unterschiedlich verlaufen, das Mannschaftsspiel also nicht so recht in die Gänge kommen will. Die einen rüsten wirtschaftlich noch auf, und wollen das berücksichtigt sehen, die anderen (ganz wenige) meinen es vielleicht ernst und bemühen sich, und Länder wie wir wollen zwar schon ihren CO2-Abdruck verringern, aber keinesfalls am Lebensstandard rütteln. Lieber wird dann die Produktion vermeintlich benötigter Produkte in ferne Länder wie China und Indien verlegt und der Klimaschaden dabei gleich mit exportiert.
Es macht wütend, wenn der gute Freund sich einen SUV zulegt oder die Kollegin immer noch Fernreisen bucht. Es macht auch wütend, wenn Firmen Greenwashing betreiben, um in der Werbung von Grün und Nachhaltigkeit sprechen zu können. Es macht wütend, wenn die eigene Bundesregierung sich nur unter sehr großem, auf Dauer nicht aufrecht zu haltendem Druck zu dann nur minimal kleinen Schritten in Sachen Klimaschutz bewegen lässt. Es macht wütend, wenn andere, durchaus gewichtige Länder weiter den Regenwald abholzen und ihre Kohle oder ihr Öl und Gas verkaufen wollen. Es macht wütend, wenn ständig neue Produkte und damit auch Bedürfnisse auf den Markt geworfen werden, die wieder bei Herstellung, Gebrauch und Verschrottung Ressourcen und Energie benötigen – und damit den Klimawandel anheizen.
Studien zufolge sind das Gefühl der Fairness, ein faires Geben und Nehmen, eine gerechte Aufgabenverteilung, wichtig dafür, ob gute Kooperation entsteht. Wenn schlechte Mitspieler beim Fußball nicht ausgewechselt werden, empfinden die anderen das nicht als fair, und werden selbst weniger anstrengungsbereit sein. Wenn wir weiter in Saus und Braus leben wollen, mit den neuesten Konsumprodukten und schönen Fernreisen (wie dumm, dass Myanmar jetzt wieder nicht mehr gut anzufliegen geht …!), und alles nur auf E umstellen, wovon wir dann eben umso mehr brauchen, wirkt das reichlich unfair auf die, die das alles nicht haben und noch unbedingt haben wollen (weil sie noch nicht wissen, dass das im Grunde Zerstörung von gewachsenen Strukturen und Traditionen, Vereinzelung sowie mehr Streß bedeutet).
Wenn ich also, oder noch ein paar tausend Leute in Deutschland mehr, nun versuchen klimaneutral zu werden, ändert das leider kaum etwas. Ja, macht nichts, könnte man sagen; wichtig ist doch dabei, andere damit anzuspornen, und eine kritische Masse entstehen zu lassen. Wie lange aber versuchen wir das schon? „Jute statt Plastik“ hieß einmal ein Slogan. Und wieviel Plastik schwimmt heute im Meer?
10 Tonnen CO2-Ausstoß pro deutschem Bürger pro Jahr, so hieß es schon 2009. Heute, zwölf Jahre später, ist die Rede von 11 Tonnen, laut Webseite des Umweltbundesamts. Fortschritt und Erfolg sehen anders aus. Was ist da schiefgelaufen? Trotz aller Bemühungen vieler Einzelner und mancher Politiker? Da muss es vermutlich Reboundeffekte gegeben haben. Untersucht das schon jemand? Immerhin: je nach Quelle und Webseite sind es aktuell auch nur 8 Tonnen pro Deutschem pro Jahr, die Deutschland-Zahlen sind schon etwas zurückgegangen insgesamt. Aber reicht das?
Genau In der Mitte zwischen 2009 und 2021, nämlich 2015, gab es doch diesen Klimabeschluss von Paris. Ein vermeintlich faires Abkommen zwischen fast allen globalen Mitspielern. Es geht also voran. Wie ernst aber wird es wirklich umgesetzt? Und welche Sanktionen hat es für die nicht-fairen Mitspieler, also die, die sich nicht daran halten?
Ich werde mich wieder dem Radeln zuwenden, und dem Fußballspiel im Fernsehen. Da habe ich doch was ganz Konkretes, was mir Spaß macht oder was ich machen kann.
Aber was schlage ich nun für das globale Problem vor?
Sich freikaufen durch Kompensation ist zu billig – bzw. zu teuer. Für meinen Drei-Personen-Haushalt wären das bei 11 Tonnen CO2 im Jahr pro Nase auch schon über 800 Euro im Jahr. Nicht jeder wird sich das leisten können – ich vielleicht schon.
Ewig wiederum zu versuchen, das richtige im Leben im falschen zu führen, zehrt aus und erschöpft. Solaranlagen auf dem Dach, viel Fahrrad fahren, kein Flug mehr seit 2006, die wöchentliche Biokiste und manches mehr – und dennoch ist mein Fußabdruck noch zu groß. Beim wöchentlichen Einkauf in den neu gebauten Biomärkten in meiner Nähe, mit großen Parkplätzen vor der Tür, überkommt mich immer der Impuls, die zumeist eher jugend- oder mittelalterlichen Fahrer nach ihrem Schwerbehindertenausweis zu fragen, der ihr Transportmittel verständlicher werden lassen könnte. Den sie aber natürlich nicht haben werden. Der Blick auf andere bzw. der Vergleich mit anderen ist menschlich, liegt offenbar in unserem Wesen, und ist nicht ganz zu vermeiden, wenn auch oft nicht hilfreich. Aber ich kann ja nicht permanent mit Augenbinde durch die Gegend laufen … !
Die sich beschleunigende Erwärmung, die unschwer weiter in die Zukunft projizierbaren Kurven dabei, die vielen anderen Umweltprobleme, der komplexe Lebensstandard industrieller Zivilisationen, deren dadurch entstandene schlechte Prognose – das ist für mich nicht philosophische Zukunftsfantasterei, sondern ein „sich ehrlich machen“. Wir sind gescheitert.
Für Würde und Selbstachtung
Trotz solchem pessimistischem (oder realistischem?) Blick auf die Welt aber werde ich aktiv bleiben – jedoch nicht mit dem Ziel, den Klimawandel abzuwenden oder aufzuhalten, weil diese Ziele zu unkonkret sind und in für mich überschaubaren Zeiträumen nicht erreichbar. Sondern ich werde mich weiter um ökokorrektes Dasein bemühen, um meine Würde und meine Selbstachtung zu bewahren.
Dazu gehören dann vielleicht auch ein Stück Demut und Inne-Halten, ein Versuch des Weniger, anstatt nun wieder neue Technologien zu erfinden (und zu verkaufen), um damit die immensen Probleme lösen wollen. Wir werden schon diverse Techniken brauchen, klar, aber ich mache mir keine Illusionen, dass das nun die große Lösung sein wird, denn genau dieser Ansatz hat uns letztlich in die heutige Situation gebracht (ach, die großen „Fortschritte“ durch Industrialisierung, Autoverkehr, Fliegerei, Atomenergie, jetzt vielleicht auch durch Digitalisierung …!).
Wir können leider nicht mehr zurück auf ein Maß von vielleicht drei oder vier Milliarden menschlicher Erdbewohner, nicht mehr zurück zu nachhaltigen Lebensformen in kleinen Gemeinschaften, mit Einbezug nahezu aller jeweiligen Mitglieder in die Landwirtschaft, ohne Konsum unnötiger Güter, ohne Konkurrenzstress, mit direktem Sinnbezug zu dem und durch das, was man tut, mit ganz normaler Integration von Kindern, aber auch kranken und alten Menschen in die Familien und Lebensgemeinschaften. Helena Norberg-Hodge hat das schön beschrieben für Ladakh, wo sie etliche Jahre gelebt hat. Und sie hat ebenso beschrieben, was dann die Bemühungen der indischen Regierung, nun auch diese vermeintlich rückständige Region endlich zu „entwickeln“, bewirkt haben.
Nein, dahin können wir wohl leider nicht zurück. Der Trend geht in die Städte, weltweit. Von überschaubaren landwirtschaftlichen Lebensgemeinschaften und hier fairem Engagement aller „Mitspieler“, aber auch Freude und Spaß dabei, sind wir weit entfernt. Man könnte noch in ein Ökodorf gehen, oder eine anderweitige Lebensgemeinschaft. Eine ernsthaft anzustellende Überlegung. Ändert zwar auch nichts im Großen, aber verleiht dem eigenen Dasein wieder mehr Sinn und kommt einem insgesamt richtigen Leben schon näher.
Will ich dafür aber nicht meinen Sohn aus seinen sozialen Bezügen herauslösen, meine mühsam aufgebaute Arztpraxis, die ich eigentlich ganz gerne betreibe, aufgeben und auch meine Frau zur Jobkündigung bewegen müssen, bleibt mir nicht viel anderes, als so weiterzumachen wie Don Quichote, oder Sisyphos, oder weiter auf den rettenden politischen Godot zu warten.
Um den Niedergang weiter aushalten zu können, der um mich herum weiter stattfindet, tröste ich mich mit zwei Perspektiven:
Zum Einen werden zunehmende Hitzerekorde, Dürren und Überschwemmungen, damit leider wohl auch Einbrüche bei der Nahrungsmittelproduktion, wohl mittelfristig für den nötigen dann konkreten Leidensdruck sorgen, der mit der konkreten Gesundheitsgefahr durch einen Virus heute schon vieles möglich gemacht hat. Artensterben und andere Entwicklungen werden das ihre dazu tun. Der Leidensdruck könnte dann vieles in Bewegung bringen, was wir heute fordern, was aber immer noch unvorstellbar ist. Auch wenn es dann eben leider für viele Erdregionen schon zu spät ist, und auch hier das Leben nicht gemütlich sein dürfte (Deutschland steht auf der Liste der vom Klimawandel am stärksten betroffenen Länder unter den ersten 20).
Zum Anderen aber tröste ich mich damit, dass unser Dasein, unsere Zivilisation, unsere „entwickelte“ Gesellschaft, nicht das Nonplusultra menschlicher Zivilisationen gewesen sein müssen. Wenn 98 Prozent aller Arten im Laufe der Evolution wieder vom Planeten verschwunden sind, warum sollte das für (vermeintliche) Hochkulturen wie unsere anders sein? Oder eventuell auch für die Art Mensch? Das klingt jetzt fatalistisch oder gar zynisch. Ist aber wiederum nur ein nüchterner realistischer Blick auf unbequeme Tatsachen und deren absehbare Folgen.
Ich selbst bin genauso endlich wie unsere Zivilisation oder die Art Mensch, und reagiere darauf auch nicht resigniert. Sondern versuche, das Beste aus meinem Leben und für meine Nachkommen zu machen. Scheitern ist menschlich, im wahrsten Sinn des Wortes. Man muss es sich (allein und kollektiv) nur auch mal eingestehen können, auch wenn es äußerst unangenehm und schmerzhaft ist.
Nicht jedes Spiel kann gewonnen werden, nicht jeder Weg der Evolution hat sich als erfolgreich erwiesen (was heißt hier eigentlich „erfolgreich“? Ich würde meinen: dauerhafte Lebensmöglichkeit auf diesem Planeten ohne Vernichtung der Mit-Lebewesen und Pflanzen). Scheitern führt zu Demut, In-Frage-Stellen, es anders zu probieren, eher nun weniger als zu viel zu wollen, bescheidener zu werden in den eigenen Ansprüchen. Nicht mehr der große Lifestyle, sondern eben mal wieder die nähere Umgebung besser kennenlernen. Wie uns Corona – ebenso unangenehm und schmerzhaft – gelehrt hat.
Ich lebe nicht perfekt, mache viele Fehler, habe wahrscheinlich schon einige Menschen in meinem Leben enttäuscht. Ich habe das nicht gewollt, und es auch nicht böse gemeint. Die Menschheit und insbesondere die westliche Zivilisation in ihrer Entwicklung mit all ihren Fehlern ebenso nicht. Ich werde älter, und damit irgendwann kränker und schwächer. Gut zu wissen, dass ich dann auch irgendwann gehen darf – und auf Erden nicht das ewige Leben habe (woanders, glaube ich, auch nicht – aber das ist eine andere Diskussion).
Wünschen würde ich mir, dass ich aus diesem Blickwinkel heraus auch die kränkelnde Zivilisation und die bevorstehenden Krisen, ja, die zu erwartenden schwereren Krankheiten (Fieber, Austrocknung, Hungerfolgen etc.) leichter ertragen kann. Dazu gehört auch, auszuhalten, dass wir momentan weiter nahezu mit Vollgas in Richtung Absturz fahren. Ich selbst lebe ja auch nicht rundum gesund, und verkürze dabei eventuell ebenso an der einen oder anderen Stelle meine Lebenserwartung. Trotz 3000 Fahrradkilometern im Jahr.
Dr. Andreas Meißner
Psychiater und Psychotherapeut, München
13.02.2021
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Roland Riem (Donnerstag, 18 Februar 2021 11:48)
Lieber Herr Meissner,
vielen Dank für Ihren Aufsatz, er regt sehr zum Nachdenken und diskutieren an!