Hatten Sie Zeit, über das Wort "Klimanotstand" vom gestrigen Post nachzudenken? Ja? Gut. Ich auch.
Als Erstes: Natürlich ist Wortwahl extrem wichtig. Worte lösen Bilder und Empfindungen aus, sie können manipulieren, verletzen, zu Gutem und Schlechtem motivieren. "Hirnforscher, Psychologen und Kognitionswissenschaftler haben eine Fülle von Belegen für die Macht der Worte zusammengetragen", beschreibt ein ausführlicher Artikel der Zeit.
Spannend ist auch, dass wir "in einer kollektiven Illusion vermeintlichen Verstehens“ leben. "Wir alle halten unsere Meinungen für wohlüberlegt und faktenbasiert. Doch es sind vielmehr unsere Gefühle, die darüber entscheiden, ob wir etwas gut oder schlecht finden und wie sich unser Weltbild zusammensetzt." So der Wissenschaftsjournalist Sebastian Herrmann in seinem Buch Gefühlte Wahrheit.
Wenn man auf ein bestimmtes Wort sehr stark emotional reagiert, dann kann und will man diese Empfindung nicht so leicht abstellen. Das geht allen Menschen so, jede(r) individuell unterschiedlich, je nach Wissen und Erfahrung. Insofern ist es vollkommen verständlich, wenn man zunächst das Wort "Klimanotstand" ablehnt. Ganz besonders verständlich ist das, wenn man mit Flüchtlingen arbeitet und deren Fluchtgeschichten und unbeschreiblichen Notlagen auf der Flucht unmittelbar mitbekommen hat.
Auch ich habe ein Problem mit einem Wort, und zwar mit dem Wort "2-Grad-Ziel". Seit 10 Jahren lasse ich nicht locker und schimpfe auf dieses Wort, weil 2 Grad Celsius nie ein "Ziel" war, sondern eine maximale Obergrenze der Erderwärmung. Nun ist diese Bezeichnung sowieso hinfällig, da wir inzwischen wissen, dass sich die Erdoberfläche um maximal 1,5 Grad Celsius erwärmen darf. Und wieder sprechen die meisten Menschen von dem "1,5-Grad-Ziel." Das kann schon wurmen, wenn etwas nicht korrekt bezeichnet wird. Und ja, die Bezeichnung hat natürlich Auswirkungen darauf, wie wir etwas wahrnehmen.
Gleichzeitig empfindet man - jedenfalls geht das mir so - eine gewisse Überlegenheit, wenn man eine allgemein verwendete Bezeichnung ablehnt: "Ich habe das viel besser verstanden als ihr", denkt man, oder "Wie könnt ihr das so sagen, wisst ihr nicht.." Man steht über der Sache und fühlt sich soo viel schlauer. Nur, keiner hört auf einen. Das frustriert. Entweder kann man dann die andere Ausdrucksweise grummelnd akzeptieren, oder man kann immer weiter gegen dieses Wort reden; gegen ein Wort, das von der ganzen Welt verwendet wird. Man kann seine Energien auf unendliche Diskussionen über dieses Wort legen oder stattdessen alle Energien auf Lösungen setzen.
In Bezug auf das Wort "Klimanotstand" ist das ähnlich. Sicherlich hat das Wort in Deutschland bei vielen, v.a. bei Menschen die sich noch an den Widerstand gegen die Notstandsgesetze in den 60er Jahren erinnern können, negative Assoziationen. Das ist verständlich. Auch ist es verständlich, wenn man den Begriff "Notstand" mit Bildern von Elend, Hunger, Dürre, Seuchen,...verbindet und ihn daher nicht mit Deutschland in Verbindung bringen will und kann.
"Bei uns ist doch alles gut." Stimmt. Noch.
Aber bald nicht mehr. Die Erde brennt und wir schauen zu. Das ist nicht nur unverantwortlich. Das ist Selbstmord.
Um gegen diese Passivität vorzugehen wird an immer mehr Orten der Klimanotstand ausgerufen. Das Wort "Klimanotstand" kommt von dem Wort "Climate Emergency"; es wurde vielleicht
etwas ungünstig übersetzt. Worte wie "Klima-Notlage" oder "Klima-Notfall" hätten vielleicht weniger Schwierigkeiten gemacht. Aber jeder weiss , was mit dem Wort Klimanotstand
gemeint ist:
Ein Symbol für die dramatischen Entwicklungen, die auf uns zukommen.
Ein Symbol dafür, dass in vielen Orten der Welt auf Grund klimatischer Veränderungen schon ein absoluter Notstand herrscht.
Ein Symbol für unsere Verantwortung, etwas zu tun.
Und ein Symbol dafür, dass auch wir in Zukunft sehr stark unter den Folgen des Klimawandels leiden werden.
Städte und Gemeinden, die den Klimanotstand ausrufen, bekennen sich zu der Tatsache, dass die Menschheit - falls wir jetzt nicht beherzt handeln - eine globale Klimakatastrophe auslöst. Sie nehmen Verantwortung und basieren ihre Entschlüsse darauf, dass der Klimawandel möglichst effektiv begrenzt wird. Jedoch hat der Begriff "Klimanotstand" keine gesetzliche Grundlage. Wie viel sich eine Notstandsgemeinde tatsächlich für den Klimaschutz einsetzt, hängt daher stark von einzelnen Personen und dem Druck der Bevölkerung ab.
In Deutschland haben schon knapp 60 Gemeinden den Klimanotstand ausgerufen, darunter Konstanz (als deutscher Vorreiter), Aachen, Potsdam, Bielefeld, Wolfratshausen und viele andere. Vor einigen Tagen rief auch der österreichische Nationalrat den Klimanotstand für Österreich aus. Weltweit sind über 1000 Gemeinden und Landkreise sowie 19 Länder beteiligt.
Und da stellen sich Gemeinderatsmitglieder der Stadt Weilheim (in Oberbayern) gegen das Ausrufen eines Klimanotstandes. Weilheim gegen die ganze Welt! Yiha!
Weil diese Gemeinderatsmitglieder als einzige wirkich verstehen, was das Wort "Notstand" bedeutet.
Weil diese Gemeinderatsmitglieder schlauer sind als die ganze Welt. Beziehungsweise..
Weil diese Gemeinderatsmitglieder keine Symbole verstehen.
Glückwunsch, Weilheim, für einen solch schlauen Stadtrat. Die nächste Kommunalwahl kommt ja bald. Ich hätte da einen Vorschlag, wer wunderbar geeignet ist, unsere Zukunft nicht zu regeln...
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Andi (Samstag, 28 September 2019 22:46)
Anstatt über eine unglückliche Wortwahl zu diskutieren (nach so einem schönen Sommer klingt "Klimanotstand in Weilheim" schon sehr abstrakt, wenn nicht gar 'abgehoben') soll der Stadtrat halt einen Nachhaltigkeitsbeschluß fassen und damit seine Verantwortung für ökologisch nachhaltiges Handeln festschreiben.
Klar ist Symbolik wichtig. Aber doch nur, wenn Sie uns rasch ins Handeln bringt.
Nur dann.
Maiken Winter (Samstag, 28 September 2019 22:50)
Es gibt aber einen gewissen globalen Gemeinschaftssinn. Wenn schon mehr als 1000 Gemeinden den Notstand ausgerufen haben, dann gibt das eine große Kraft. Wenn jede Gemeidne wegen irgendwelchen Problemchen mit der Wortwahl wieder ihr eigenes Ding macht, dann fehlt diese Gemeinschaft. Und diese halte ich für sehr wichtig, um zusammen den Notstand beheben zu können. Alleine schaffen wir das nicht..