Bürgerbeteiligung an wissenschaftlichen Projekten ermöglicht die Untersuchung wesentlicher Fragestellungen
Wie beeinflusst der Klimawandel das Blühdatum von Pflanzen? Wo kommt der Große Wiesenknopf in Deutschland noch vor? Wie hoch ist der Bruterfolg der Kohlmeise und wie stark hängt er von lokalen Begebenheiten ab?
Solche und andere Fragen können von einem einzelnen Wissenschaftler nicht beantwortet werden, da es unmöglich ist, gleichzeitig an vielen Orten Beobachtungen durchzuführen. Großflächige und langfristige Studien sind jedoch notwendig, um einen tieferen Einblick in die Verbreitungen von Arten oder in Veränderungen in der Natur zu erhalten. Nur mit der Hilfe von interessierten Bürgerinnen und Bürgern ist es möglich, solche Studien durchzuführen.
Eine neue Internet Platform, BürgerSchaffenWissen.de, bietet eine große Auswahl von Citizen Science Projekten - wissenschaftlicher Studien, bei denen interessierte Bürgerinnen und Bürger die notwendigen Beobachtungen durchführen. Jede(r), der Lust hat, kann sich anmelden und mitmachen. Dabei ist es wichtig, sich genau an die Vorgaben der einzelnen Studien zu halten, ansonsten sind die eigenen Beobachtungen nicht mit denen anderer Beobachter vergleichbar.
Ein Beispiel: Die Verbreitung der Nachtigall soll untersucht werden. BeobachterInnen ziehen los, und versuchen, diese Vogelart zu finden. Einige BeobachterInnen stehen früh am morgen auf, andere haben erst abends Zeit, wieder andere gehen zur Mittagspause raus; einige bleiben an mehreren Stellen 10 Minuten lang stehen, um zu sehen, ob sie eine Nachtigall singen hören, andere gehen mit einem Bekannten spazieren, und wieder andere radeln mit ihrem Hund. Manche gehen nur an einem sonnigen Tag, andere sind bei Regen unterwegs. Wertet man nun diese Beobachtungen aus, werden an manchen Orten mehr Nachtigallen gemeldet sein als an anderen. Kommt dort diese Art tatsächlich häufiger? Nicht unbedingt. Denn die Beobachtungsart und der Beobachtungszeitpunkt beeinflussen die Zählung; die Beobachtungen sind also nicht direkt vergleichbar. Daher kann man bei den beschriebenen Beobachtungen keine klaren Aussagen darüber machen, wo die Nachtigall nicht vorkommt.
Um Beobachtungen vergleichbar zu machen, sollten möglichst viele Faktoren, die die Beobachtungen beeinflussen können (wie Tageszeit, Länge der Beobachtung, Wetter,..), konstant gehalten werden. Das wird möglich, wenn ganz bestimmte Beobachtungskriterien für alle Beobachter festgesetzt werden. Dies wird manchmal als Eingrenzung der eigenen Kreativität angesehen. Doch sind der Kreativität bei Citizen Science Projekten keine Grenzen gesetzt. Denn zu den notwendigen Beobachtungen kann man leicht weitere eigene Beobachtungen hinzufügen.
Natürlich sind auch lokale Beobachtungen einzelner Menschen von großem Wert, wie z.B. Naturtagebücher, die detailliert aufzeichnen, wann und wo bestimmte Arten vorkommen. Diese Beobachtungen können z.B. entscheidend für ein Bebauungsgutachten sein. Doch lokale Beobachtungen können - wenn sie verallgemeinert werden - leicht zu Fehlinterpretationen führen; z.B. können langjährige lokale Wetterbeobachtungen anzeigen, dass die Temperatur nicht ansteigt. Solche Beobachtungen sind durchaus lokal zutreffend, sagen aber nichts über einen globalen Trend aus. Für Letzteres sind langjährige Wetterbeobachtungen auf dem ganzen Planeten notwendig. Sowohl lokale als auch großflächige Beobachtungen sind also für ein besseres Verständnis für unsere Umwelt wesentlich; sie haben aber unterschiedliche Aussagemöglichkeiten.
Peter Finke, der Autor des neu erschienen Buchs Citicen Science, das unterschätzte Wissen der Laien, bezeichnet Citizen Science Projekte, die eine wissenschaftliche Fragestellung großflächig oder langfristig untersuchen, als „Citizen Science light“, also als mindere Form des Citizen Science. Er kritisiert, dass Wissenschaftler die Arbeit von Bürgerinnen und Bürger als „schön günstiges“ Mittel verwenden, um ihre eigenen Studien durchzuführen. Dies erscheint mir als eine arg überzogen negative Darstellung von Citizen Science Projekten. Denn tatsächlich können - wie oben erwähnt - viele wichtige Fragestellungen ohne die Hilfe von Bürgerinnen und Bürgern gar nicht wissenschaftlich untersucht werden. Der Beitrag der Bürger zur Wissenschaft und die Präsenz der Wissenschaft im Leben vieler Bürger sollte allerdings – und da stimme ich Herrn Finke vollkommen zu – noch viel stärker hervorgehoben werden.
Am besten, Sie machen sich selbst ein Bild, und nehmen an einem der vielen spannenden Citizen Science Projekte auf buergerschaffenwissen.de oder bei WissenLeben teil. Viel Freude dabei!
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Prof. Dr. Peter Finke (Donnerstag, 12 Juni 2014 04:41)
Liebe Maiken Winter, Ihr neuer Blog gefällt mir besser als mancher andere, denn er erlaubt zu antworten. Viele schreiben etwas Schönes über mein oekom-Buch, aber man kann nicht antworten; das ist schade, denn oft wird etwas kritisiert, was man richtigstellen möchte, oder auch gelobt, was auch kommentierenswert wäre.
Sie bemängeln es, wenn ich Profiwissenschaftler darin kritisierte, dass sie die ehrenamtliche Arbeit von Citizen Scientists für ihre eigenen Zwecke ausnutzen („Citizen Science light“). Also Sie haben darin Recht, dass die Ergebnisse letztlich der Allgemeinheit zugute kommen, aber vorher dienen sie schon den Berufswissenschaftlern. Folgendes ist doch der Fall: In meinem Buch unterscheide ich CS proper, bei der kenntnisreiche Nichtprofis so gut sind, dass sie keinen Profi brauchen, der für sie ein Forschungsprogramm ausarbeitet, ihre mühsam gesammelten Daten dann in Empfang nimmt, um daraus selbst einen abschließenden Forschungsartikel zu schreiben. Wir alle kennen solche hervorragenden Leute; einigen von ihnen – einer Verkäuferin, einem Verwaltungsangestellten, Grundschullehrern und anderen, die sich durch viel Eigenarbeit, Fleiß, private Mühen und Fortbildung zu ausgezeichneten Sachkennern von Pilzen, Fledermäusen, alter Bauarchitektur, Problemen der Atomkraftwerke oder unserer verrückten Wachstumswirtschaft emporgearbeitet haben, setze ich in meinem Buch ein Denkmal, damit man sie kennt und bei „Wissenschaft“ nicht immer nur an Nobelpreisträger oder Fernsehexperten für Wirtschaftsprognosen denkt. Wenn es aber nicht so ist und Profiwissenschaftler auf viele mitarbeitswillige kostenlose Helfer angewiesen sind, die bereitwillig Daten für sie sammeln, dann nenne ich dies CS light.
Amerikanische Forscher, die an fast vollständig privatfinanzierte Wissenschaft gewöhnt sind, sagen schön offen, wie kostengünstig das doch sei. Wie bitte? Dies heißt für mich, dass Ehrenamtlichkeit – sie kennzeichnet CS im Unterschied zum Berufswissenschaftlertum – mit Kostenlosigkeit verwechselt wird. Kennen Sie die vielen Klagen von Ehrenamtlern in Deutschland, denen die Landesämter für Naturschutz immer wieder die neuesten Bestandsdaten von botanischen oder entomologischen Kartierungen möglichst rasch abbetteln möchten, weil sie nämlich sonst ihren gesetzlichen Auftrag eines aktuellen Bestandsmonitoring gar nicht erfüllen könnten? Sie müssen immer wieder hören: Geld gibt's dafür nicht. War doch ehrenamtlich! Kostet also nichts. Dies finde ich richtig falsch. Ich will nichts an der Ehrenamtlichkeit ändern, sie ist die Basis der Freiheit von CS im Gegensatz zu der inzwischen weitgehenden Nichtfreiheit großer Teile der Profiforschung. Aber sie ist nicht dazu da, die Lücken der Wissenschaftsfinanzierung zu stopfen und auch noch darüber zu jubeln, wie schön kostengünstig das alles ist! Die Helfer der Profis bezahlen alles, was es kostet, aus ihrer eigenen Tasche, wenden ihre eigene (Frei-)Zeit auf, treiben oft großen Aufwand für die Dinge, die ihnen neben ihrem Beruf und ihren Pflichten am Herzen liegen. Die Gesellschaft, insonderheit die Forschungspolitik, die CS bislang komplett übersehen, missachtet, nichtgefördert hat, ist aufgerufen, ein Problem zu sehen und nicht länger so zu tun, als sei sie hierfür nicht zuständig.
Ansonsten fordere ich in meinem Buch keineswegs nur CS proper, sondern sage, dass wir viel zu wenig CS light in Deutschland haben. Warum? Weil die wenigsten unserer Fachwissenschaftler an den Universitäten (im Unterschied zu manchen in den USA!) gewohnt und bereit sind, mit Laien auf Augenhöhe zu kommunizieren, sie als wichtige Forschungsmitarbeiter ernst zu nehmen. Ich kritisiere dies heftig, weil es auch etwas anderes zeigt: einen angemaßten Alleinvertretungsanspruch für Wissenschaft. Aber das ist ein anderer Punkt, ebenso wie Ihr Lob für die Plattform „Bürgerschaffenwissen“, das ich so nicht teilen kann. Dort werden m.E. schöne Dinge beschworen, aber ganz schlecht beschrieben und insgesamt schwere Fehler gemacht. Ich bin ja Mitglied des Beraterkreises beim BMBF, der sie beschlossen hat, aber dieser Beraterkreis hat einen schweren Geburtsfehler: Er besteht nur aus Profis. OK, jetzt mache ich erstmal Schluss. Hoffe wir auf lebhafte Diskussion!
wltesten (Donnerstag, 12 Juni 2014 18:31)
Lieber Herr Finke, danke für Ihren Kommentar. Mir schwirrt mein Kopf bei all den Gedanken, die ich Ihnen auf einmal schreiben möchte. Daher diskutieren wir am besten eines nach dem anderen.
Fangen wir in den USA an und den Wissenschaftlern, die die Arbeit der Bürger als so schön kostengünstig erachten. Ich habe 10 Jahre lang an der Cornell University, Lab of Ornitholgogy, gearbeitet, der Hochburg des Citizen Science in den USA. Kein einziges mal habe ich einen solchen Kommentar von einem einzigen Mitarbeiter gehört. Ganz im Gegenteil verbringen viele Mitarbeiter fast ihre gesamte Zeit damit, Fragen der Bürger - umsonst - zu beantworten, und ihnen - umsonst - Materialien für die Projekte zu schicken. Man könnte es also genauso gut umgekehrt sehen - die Bürger erhalten umsonst professionelle Einweisungen in wissenschaftliche Arbeitsweisen (davon profitieren v.a. auch Schulen) und erhalten umsonst die notwendigen Materialien. Ich denke, Citizen Science Projekte sind daher ein wunderbares Beispiel für eine win-win-Situation: beide Seiten profitieren erheblich.
Wichtig ist auch, zu verstehen, dass die Bürgerinnen und Bürger teilnehmen, weil es Ihnen Spaß macht, weil sie gerne Teil einer größeren wissenschaftlichen Studie sind und gerne ihren Beitrag dazu leisten. Warum sollten sie dafür bezahlt werden? Das wäre bei einer Teilnehmerzahl von vielen Tausenden von Bürgern gar nicht möglich; und ich halte es auch für vollkommen unnötig. Wer nicht mitmachen will, weil sie oder er sich ausgenützt fühlt oder Geld will, braucht ja nicht teilnehmen.
Warum sollten Ehrenamtliche in Deutschland nicht ihre Daten teilen? Ist es nicht unglaublich befriedigend, zu wissen, dass eigene Daten helfen, größere Fragen zu beantworten?
Ich denke, es kommt darauf an, was man erreichen will. Will ich für mich meine Umwelt erforschen aber habe nicht den Anspruch, meine Daten auf allgemeine Gültigkeit zu überprüfen? Oder will ich größere Fragestellungen überprüfen?
Ich denke, Sie verwechseln vielleicht Wissen und Wissenschaft? Das Wissen der Bürger ist sehr viel wert; das Wissen über das Vorkommen einer seltenen Pflanzenart oder über die Geschichte eines Dorfes,.... Dies Wissen sollte viel mehr geschätzt werden. Wissenschaft, zumindest Naturwissenschaft, bedeutet, dass Beobachtungen nach spezifischen Fragestellungen analysiert werden um festzustellen, ob bestimmte Faktoren die Beobachtungen erklären können. Dazu sind detaillierte, große Datenmengen notwendig, die mit dem notwendigen statistischen Know-How analysiert werden.
Daher würde ich zumindest Ihre bezeichnung umdrehen - Citizen Science proper ist die Citizen Science, bei der Bürger an wissenschaftlichen Studien teilnehmen; CS light wäre dann das Wissen, das Bürger sich selber erarbeiten und das sehr wertvoll sein kann; das aber oft nicht naturwissenschaftlich verwertbar ist.
Ich freue mich auf weitere stimulierende Diskussionen.
Fritz Lietsch (Samstag, 16 August 2014 16:16)
Sehr geehrte herren, lieber Herr Finke,
herzlichen Dank für diese Ausführungen, die wir gerne in der kommenden Forum aufgreifen werden. Wir stellen darin die Idee der Zukunftswerkstätten nach Robert Jungk vor und möchten in diesem Umfeld auch CS thematisieren.
Bitte senden Sie mir dazu gerne auch ihre Meinungen.
f.lietsch@forum-csr.net